Tim Crane: Die Bedeutung des Glaubens

 

Cover: Suhrkamp
Autor: Tim Crane  
Verlag: Suhrkamp
Erschienen: 2019
Seiten: 187
Preis: 22 €
ISBN: 978-3-518-58739-3

 

 

 

 

 

Kritik des Angeber-Atheismus

Das bereits 2019 bei Suhrkamp auf Deutsch erschienene Buch des britischen Philosophen Tim Crane liefert eine atheistische Kritik des neuen Atheismus. Dem Autor geht es um ein besseres atheistisches Verständnis von Religion. Das sei hilfreich für ein angemessenes Verständnis der menschlichen Zivilisation, das friedliche Zusammenleben von Religiösen und Nichtreligiösen sowie die eigene atheistische Positionierung.

 

Angeber-Atheismus

Gibt es Angeber-Atheist*innen? Der Atheist Crane ist sicherlich kein Angeber und benutzt diese Bezeichnung auch nicht für seine Kontrahenten. Und doch mag beim Lesen seiner kritischen Ausführungen, natürlich mitabhängig von Vorerfahrungen und der Voreingenommenheit der Lesenden, ein implizites Negativbild des perfekten Angeber-Atheisten aufscheinen.

Ein ebensolcher sieht im Tod der Götter und in menschlicher Sterblichkeit keinerlei Probleme: Furchtlos blickt er in das Nichts und erhebt sich triumphierend über die Schwäche der religiösen Bedürfnisse, er fühlt sich schlauer oder aufgeklärter als die Früheren und der Tod ist ihm nichts weiter als eine natürliche biologische Tatsache, kein Grund für irgendwelche übertriebenen emotionalen Empfindlichkeiten. Der Angeber-Atheist wähnt sich mit seinen Überzeugungen auf der Seite von Wahrheit, Vernunft und Rationalität; zumeist sieht er die eigenen Überzeugungen als von der Wissenschaft nahezu bewiesen an oder zumindest die geschuldete Beweislast bei den Gläubigen. Er selbst führt ein Leben in völliger und schonungsloser Klarheit, ganz ohne naive Selbsttäuschungen. Sein von ihm präferierter Zugang zur Welt qua Wissenschaft und Rationalität ist ihm der einzig bedeutsame und akzeptable. Die Religion ist die Wurzel allen Übels, während sich der Angeber-Atheist mit der eigenen Weltanschauung selbstverständlich auf der Seite des Guten befindet, eine Art „atheistischer Gutmensch“. Seine eigenen Überzeugungen sind sogar unabdingbar für die Rettung der Welt. Momente wissenschaftlicher und vernünftiger Erkenntnis lassen den fortgeschrittenen Angeber-Atheisten mit einem ozeanisch-erhabenen Gefühl erbeben.

Von dieser Reinform des perfekten Angeber-Atheisten dürfte es in der Realität nur wenige Exemplare geben, aber vermutlich doch so einige in menschlicherer und das heißt nichtperfekter Gestalt, mit diesen oder jenen Anteilen der beschriebenen heroischen und triumphierenden Haltung. Für den Atheismus wäre es gut, wenn sich dieses Denken zukünftig ausschleicht. Cranes Buch könnte dabei helfen.

Der Inhalt in Kürze

Das Buch des Professors für Philosophie an der Central European University, die aus Budapest vertrieben jetzt in Wien ansässig ist, enthält fünf Kapitel. Im ersten Kapitel legt Crane dar, was er unter Religion, Atheismus und Humanismus versteht, wobei es ihm insbesondere darum geht, seine eigene atheistische Position sowohl vom sogenannten „Neuen Atheismus“ (Richard Dawkins und Co.) wie auch vom Humanismus abzugrenzen. In Kapitel 2 und 3 erläutert er die beiden seiner Ansicht nach wesentlichen Elemente von Religion: den religiösen Impuls und die Identifikation. Den religiösen Impuls versteht er als die Überzeugung von Gläubigen, dass es eine unsichtbare, transzendente Ordnung gibt, an der es sich zu orientieren gelte. Entscheidend ist dabei die Unterscheidung einer Überzeugung (belief), die ein „Für-wahr-Halten“ ist, von einer wissenschaftlichen Hypothese. Mit Identifikation meint Crane die von Gläubigen als wesentlich erlebte Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft und ihrer Praxis, deren Bedeutung er darin sieht, dass sie der Religion eine entscheidende „dritte Kategorie neben kosmologischen Theorien und moralischen Geboten“ (S. 87) hinzufügt. Im vierten Kapitel wendet sich Crane gegen die unter Atheist*innen nicht seltene Ansicht, alle Probleme in der Welt seien direkt oder indirekt durch Religion und insbesondere durch deren falsche kosmologische Überzeugungen verursacht. Der Idee, dass Gläubige durch Aufweis von „Irrationalität“ zu Überzeugungsänderungen motiviert werden können, schließt er sich nicht an. Das Schlusskapitel ist ein Plädoyer für den „Weg der Toleranz“, dem das Ziel zugrunde liegt, in Frieden zu leben, anstatt zu belehren. Crane widerspricht dabei der von atheistischer Seite oft zu hörenden Kritik, Toleranz impliziere Relativismus und Respekt für sämtliche Überzeugungen anderer.

Es gibt zwei entscheidende Diagnosen, die dem Buch zugrunde liegen. Erstens sieht Crane, dass global betrachtet 6 von 7 Milliarden Menschen religiös sind und er geht nicht davon aus, dass Religion in absehbarer Zeit aus menschlichen Gesellschaften verschwinden wird. Zweitens sieht er, dass die Versuche der Neuen Atheisten, religiöse Menschen durch rationales und wissenschaftliches Argumentieren zu bekehren, völlig an diesen abprallen. Aus beiden zusammen schließt er, dass es von atheistischer Seite einer verbesserten Dialogfähigkeit bedarf, die geeignet ist, sowohl gemeinsam die globalen Probleme des Zusammenlebens der Vielen angehen als auch die eigene atheistische Position seriöser platzieren zu können.

Atheistische Kritik des neuen Atheismus

Cranes Hauptpunkt ist seine Überzeugung, dass der Neue Atheismus kein adäquates Verständnis von Religion hat. Dieser stoße damit bei den Religiösen auf taube Ohren, weil sie sich in dessen Religionsverständnis nicht wiederfinden würden. So komme es gar nicht erst zu einer ernsthaften Auseinandersetzung. Crane ist also der Ansicht, es ist wichtig, dass Atheisten und Religiöse miteinander ins Gespräch kommen, und er hält dies auch für möglich.

Er schlägt folgende „grobe Definition“ von Religion vor: „Religion, so wie ich das Wort verwende, ist ein systematischer und praktischer Versuch, den Menschen unternehmen, um Sinn und Bedeutung in der Welt und ihren Platz in dieser zu finden, und zwar in Form einer Beziehung zu etwas Transzendentem.“ (S. 17) In Abgrenzung zum Religionsverständnis der neuen Atheisten erläutert Crane hier zum einen, dass das Transzendente keineswegs als eine klar konturierte Idee eines „Übernatürlichen“ zu verstehen ist, und zum anderen, dass diese Beziehung zum Transzendenten nicht derart in den alleinigen Mittelpunkt des Religionsverständnisses gestellt werden dürfe, weil dies andere Aspekte – wie z.B. die noch zu erläuternde „Identifikation“ – vernachlässige. Berücksichtige man das nicht, ergebe sich ein verzerrtes Bild religiöser Phänomene, und Crane stellt sich hinter den bekannten Vorwurf, „dass die Neuen Atheisten einer ‚fundamentalistischen‘ oder ‚schriftgläubigen‘ Konzeption des religiösen Glaubens anhängen“ (S. 23).

Tim Crane ist Atheist, aber kein Humanist (S. 37). Er ist deshalb kein Humanist, weil ihm die Neigung der Humanisten missfällt, Humanismus als alternative Weltsicht zu einer religiösen darzustellen (S. 10) und weil er ihm die von ihm nicht geteilte Idee zuschreibt, dass jedweder Wert menschlichen Ursprungs ist (S. 39-41). Dies ist natürlich keine wirkliche Auseinandersetzung mit den recht vielfältigen Gestalten von Humanismus. Insbesondere aber der zweite Punkt ist interessant, weil er dem Humanismus einen Anthropozentrismus zuweist, den dieser gar nicht in dieser Form vertreten muss. Ich selbst verstehe mich als Humanist, würde mir aber nicht die Idee zu eigen machen, dass jedweder Wert menschlichen Ursprungs ist, wohl aber die Idee, dass Menschen durch Bewertungen Werte schaffen und dies für ihr Zusammenleben von zentraler Bedeutung ist. Ich würde weder kategorisch die Möglichkeit ausschließen wollen, dass Dinge auch ohne menschliche Bewertung wertvoll sein können, noch diejenige, dass womöglich auch andere Lebewesen (leidende Tiere?) oder vielleicht demnächst sogar künstliche Intelligenzen Werte erschaffen können. Für den Wert von Cranes Buch ist das allerdings irrelevant: Seine atheistische Kritik am neuen Atheismus kann gut von zeitgenössischen Humanisten geteilt werden. Schade ist nur, dass er selbst nicht die starken Gemeinsamkeiten seines entspannten Atheismus und des Humanismus sieht.

Religiöser Impuls

Eines der beiden für Crane zentralen Bestimmungsmerkmale von Religion ist der „religiöse Impuls“, das „Bedürfnis, sein Leben im Einklang mit dem Transzendenten zu führen“ (S. 22). Für den Religiösen gibt es eine unsichtbare Ordnung und das höchste Gut besteht darin, mit dieser Ordnung in Einklang zu leben: Kosmologie plus Moral. Crane erläutert überzeugend, warum er diesen Impuls, obgleich er ihn ausdrücklich nicht teilt, weder für eine gedankliche Konfusion noch für eine Selbsttäuschung hält: „Vielmehr halte ich dies ganz klar für eine nachvollziehbare menschliche Reaktion auf das Geheimnis der Welt und des Lebens, die im Übrigen in menschlichen Gesellschaften über weite Strecken gang und gäbe war.“ (S. 52)

Crane verzichtet also auf die atheistische Angeberei, sich im Lichte von Rationalität und Aufklärung sonnend Religiöse als irrational und verblendet darzustellen. Es ist dies Verzicht auf eine Identität, die für die eigene Fülle immer die vermeintliche Blödheit der anderen braucht. Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass er den religiösen Impuls nicht mit einer wissenschaftlichen „Gotteshypothese“ à la Dawkins und Co. verwechselt. Wer einen religiösen Impuls hat, so Crane, müsse überhaupt nicht an eine übermenschliche, übernatürliche Intelligenz glauben, deren Existenz es wissenschaftlich zu verifizieren oder zu falsifizieren gelte. Für viele Gläubige ist klar, dass Gott sich dem menschlichen Verständnis entziehe. Der religiöse Impuls beinhaltet Überzeugungen, die für wahr gehalten werden und für die Gläubigen einen Sinn haben. Man muss diesen Sinn nicht teilen, Crane tut es nicht und ich tue es auch nicht, dennoch sollte man versuchen zu verstehen, dass die Rede von einer Gotteshypothese nur vor dem eigenen wissenschaftlichen Verstehenshorizont plausibel ist und überhaupt nicht hilft, zu verstehen, was ein religiöser Glaube ist. „Nicht Hypothesen sind also zentral für den religiösen Glauben, sondern das Bekenntnis zur Sinnhaftigkeit der Welt.“ (S. 76)

Deshalb haben Gläubige auch nicht die Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis auf ihrer Seite. Momente, in denen man wie Samuel Becketts Hamm im Endspiel denkt, „Der Lump! Er existiert nicht“, gibt es nicht nur im Leben des Atheisten, sondern auch im Leben des Gläubigen. Wer aber glaubt, hält trotz oder gerade wegen aller Widrigkeiten an seinem Glauben fest, so wie im Übrigen auch viele Humanist*innen an die Verwirklichung humaner Lebensbedingungen glauben und sich dafür engagieren, selbst wenn der Lauf der Welt Gegenteiliges anzuzeigen scheint. Die Unbedingtheit des religiösen Glaubens nicht verstehen zu können oder wollen, ist vielleicht eine der größten Schwächen mancher Atheisten.

Ich hoffe, dass entspannte Atheistinnen und Atheisten, die nicht so sehr daran kleben, unbedingt mit ihrer Position Recht haben zu müssen, sich eines Tages Cranes Position zur relativen Autonomie des religiösen Glaubens gegenüber den Wissenschaften anschließen können (was ja keineswegs Religionskritik an konkreten Formen von Religionsausübung ausschließt). Womit sich aber entspannte Atheistinnen und Atheisten auch in Zukunft nicht anfreunden werden und sollten, und diesen Punkt beleuchtet Crane nicht, ist, dass natürlich auch Leugner*innen des Klimawandels und andere faktenresistente Verschwörungstheoretiker*innen für sich eine Form von Autonomie gegenüber den Wissenschaften in Anspruch nehmen. Wer aber die Shoa oder den menschengemachten Klimawandel leugnet, der bezieht sich dabei nicht auf eine andere transzendente Ordnung, die ihm Sinn stiftet und eine Moral vorgibt, sondern er begibt sich auf das Terrain der Wissenschaften und muss dort bekämpft werden. Entspannte Atheistinnen und Atheisten brauchen also nicht zu fürchten, mit einer Akzeptanz der relativen Autonomie des religiösen Glaubens gegenüber den Wissenschaften einer Tendenz zum Postfaktischen das Wort zu reden und die Mittel zu ihrer Bekämpfung aus der Hand zu geben.

Identifikation

Crane kritisiert den neuen Atheismus aber nicht nur, weil dieser seiner Ansicht nach den religiösen Bezug zu etwas Transzendentem missversteht, sondern auch weil die neuen Atheisten allein den Bezug zu etwas Transzendentem in das Zentrum ihres Religionsverständnisses stellen würden. Neben dem religiösen Impuls, der als „Gotteshypothese“ missverstanden ist, versteht Crane unter Rückgriff auf Émile Durkheim „Identifikation“ als zweites wesentliches Bestimmungsmerkmal von Religion. Gemeint ist damit der emotional verbindende Vollzug einer gemeinsamen religiösen Praxis, die gemeinsame Wiederholung des Bekennens und religiös konnotierter Routinetätigkeiten und Rituale. Religion sei nicht nur Glaube an etwas, sondern auch affektive Zugehörigkeit. Und es sei doch eigentlich merkwürdig, so Crane, wenn Wissenschaftler*innen, die doch durchaus die Erfahrungen des gemeinsamen Forschens und Erkennens als sinnstiftend erleben würden, diesen Aspekt bei religiösen Menschen ausblenden oder nicht als etwas Wertvolles anerkennen können. Und vielleicht lässt sich auch hier wieder, Crane weiterführend, ein Element des Angeber-Atheismus diagnostizieren, wenn Nichtreligiöse Religiöse für eine Bedürftigkeit belächeln, von der sie selbst keineswegs frei sind.

Crane scheint nun aber in diesem Kapitel umgekehrt die Bedeutung der Rituale für die Religion etwas überzustrapazieren, wenn er bei Menschen, die seit Jahren nicht mehr in einer Kirche gewesen sind und sich dennoch als religiös bezeichnen, die Ernsthaftigkeit ihrer Religiosität in Frage stellt (S. 97).

Fehlt noch das Verbindende der beiden zentralen Elemente von Religion, des religiösen Impulses und der Identifikation: Crane sieht es in der Idee des Heiligen. Er erläutert das Heilige – und wiederum steht Durkheim Pate – in Abgrenzung zum Magischen und Übernatürlichen, als Objekte, Wörter, Orte oder Zeremonien, die Bedeutung innerhalb eines Ritus haben und zugleich die Verbindung zum Transzendenten gewähren.

Es geht meines Erachtens bei der Crane bewegenden Frage nach dem richtigen Verständnis von Religion nicht nur um die atheistische Dialogfähigkeit und den gesellschaftlichen Frieden, sondern auch um das mit dem Religionsverständnis unmittelbar in Zusammenhang stehende eigene humanistische oder atheistische Selbstverständnis. Denn wer z.B. Religion primär als eine wissenschaftliche Hypothese versteht, der wird auch sein eigenes Selbstverständnis primär im Sinne einer besseren Hypothese oder gar einer wissenschaftlichen Wahrheit verstehen. Umgekehrt wird jemand, der Religion als Sinngebung, Ethik und Gemeinschaft versteht, diesen Dingen auch in seinem eigenen Selbstverständnis eine zentrale Rolle zubilligen.

Gewalt und Religion

Wenn man sich der Religion in einer differenzierten Perspektive ohne Pauschalablehnung nähert, mit dem hermeneutischen Ziel des Verstehens, dann sollte man das Thema „Religion und Gewalt“ nicht übergehen. So auch Crane: Selbst noch mit der etwas schlichten These, die meisten und schlimmsten Übel der Welt seien primär durch Religion verursacht, setzt er sich ausführlich und ernsthaft auseinander, obgleich deren rationale Unhaltbarkeit im Grunde klar ist. Interessanter sind seine damit verbundenen Ausführungen zum Irrationalismus. Crane argumentiert gegen die These, dass es die Irrationalität religiöser Annahmen ist, die zur Gewalt führt und dass die Gewalt durch eine wissenschaftlich-rationale Widerlegung der religiösen Annahmen erfolgreich bekämpft werden kann. Zu Recht bestreitet er schon die dabei zugrundeliegende Voraussetzung, religiöse Aussagen seien per se irrational. Einmal mehr leuchtet auch hier eine potentielle Facette des eingangs charakterisierten Angeber-Atheisten auf, der sich nicht nur ganz unbescheiden auf der Seite des Vernünftigen und Guten wähnt, sondern überhaupt auch die kausale Bedeutung weltanschaulicher Grundannahmen für Gewalt zu übertreiben scheint und andere Faktoren wie Kampf um Macht und Ressourcen marginalisiert.

Toleranz

Viele Atheisten sind notorisch unglücklich mit „Toleranz“, sie befürchten, das führe in den Relativismus und zwinge sie dazu, Dinge zu befürworten, die sie eigentlich missbilligen. Crane selbst scheint das Verdikt „Relativist“ ebenfalls sehr zu fürchten und gibt sich große Mühe, die prinzipielle Inkohärenz der These, dass Wahrheit relativ sei, zu zeigen. In Bezug auf Toleranz ist aber eigentlich klar – und Crane hätte es sich auch leichter machen können, dass es nicht um die Beantwortung von Wahrheitsfragen geht, sondern gerade um das Ausklammern von Wahrheitsfragen: Ziel des Toleranzgedankens ist die Wahrung des Friedens und nicht „Wahrheit“. Dieses Ausklammern ist damit zweckgebunden, es dient dem Zweck des friedlichen Miteinanders. Wenn das Ausklammern also dafür sorgt oder nichts daran ändert, dass Menschen unterdrückt werden, dann erfüllt es nicht seinen Zweck und muss in Frage gestellt werden.

Auch die zweite Befürchtung, dass Toleranz die ungewollte Befürwortung missbilligter Dinge bedeute, beruht auf einem Missverstehen von Toleranz. Diese beinhaltet immer ein Moment der Ablehnung oder Missbilligung, selbst dann noch, wenn sie sich als Respekt oder Wertschätzung äußert: Es macht schlichtweg keinen Sinn, etwas zu tolerieren, was man gar nicht schlecht findet. Crane selbst argumentiert aber primär in die Richtung, dass Toleranz sich auf Menschen als autonome und verantwortliche Wesen und nicht etwa auf ihre Ansichten bezieht. Man könne die Person tolerieren und gleichzeitig ihre Ansicht missbilligen.

Fazit

Wer daran interessiert ist, das Verhältnis von Religion und Atheismus etwas entspannter zu sehen, ohne doch einfach die rosarote Brille aufzusetzen und den weltanschaulichen Konflikt nicht ernst zu nehmen, der wird Cranes Buch gerne lesen und eine ganze Reihe ermunternder Denkanregungen bekommen. Wer an einer kritischen Reflexion der eigenen atheistischen Haltung interessiert ist, aber die Rede vom Angeber-Atheismus übertrieben findet, der möge das bitte dem Rezensenten nachsehen und das Buch trotzdem lesen, denn Crane verzichtet auf eine solche Zuspitzung. Wer aber Hasskappe und Angebermontur auf- bzw. anbehalten möchte, der wird in diesem Buch vieles finden, das ihm oder ihr nicht gefallen kann. Wer sich dem Neuen Atheismus zurechnet, wird sich vermutlich nicht überall in dessen Charakterisierung durch Crane wiederfinden.

Ralf Schöppner

 

Die Rezension ist auch als zitierfähiges PDF verfügbar.

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